In diesem Blogbeitrag möchte ich dich über die Schultern bei einem meiner Projekte im Wirtschaftslehre-Unterricht blicken lassen. Ich habe eine neue Unterrichtseinheit zum selbstverantwortlichen Lernen unterstützt mit digitalen Medien durchgeführt und möchte dir gerne von meinen Erfahrungen berichten.
Kurz zu den Hintergrundinfos: In der Einführungsphase des Beruflichen Gymnasium sollten die Schülerinnen und Schüler die betriebswirtschaftlichen Grundlagen erlernen, wie die Grundsätze der Unternehmensstruktur, die verschiedenen Führungsstile, Unternehmensziele, den Shareholder und Stakeholder Value Ansatz und die grobe Kostenstruktur eines Unternehmens.
Du erfährst u.a. im Folgenden, wie die Lernenden zu Lehrenden werden, wie sie sich während des Prozesses organisieren und warum ein quietschpinkes kugelrundes Porzellan-Sparschwein der Hauptprotagonist dieser Darstellung ist.
Du kannst dir gerne die Präsentation zur Einführung der Einheit, den Bewertungsbogen, mit dem die Schülerinnen und Schüler die Lehrenden bewertet haben, einen Gruppen-Feedbackbogen sowie die Aufgaben der digitalen Klausur. Klicke hier.
Und los geht es:
„Ein armes Schwein ist, wer niemals Schwein hat.“
Deshalb habe ich schon mal gedanklich ein Schwein mitgebracht. In den nächsten Minuten werde ich das Geheimnis lüften, was dieses besondere Schwein mit dem Unterricht zu tun hat.
Stellen wir uns mal ein quietschpinkes kugelrundes Porzellan-Sparschwein vor. Was fällt da direkt auf, wenn wir von vorne anfangen? Natürlich die schweinetypische-Steckdosennase. Diese Nase hat bei echten Schweinen eine Feinschmecker Funktion: Sie können super damit Trüffel finden. Trüffel sind etwas kostbares und wertvolles. Die Trüffel in meiner Unterrichtsreihe sollten sein:
Wenn wir das Sparschwein weiter betrachten, fällt noch der große Schlitz am Rücken des Schweines auf. Damit das Schwein kein armes Schwein bleibt, werden Münzen eingeworfen.
In meiner Unterrichtsreihe habe ich gedanklich mehrere Münzen in den Schlitz geworfen. Diese Münzen stehen für die Schritte meiner Planung und Umsetzung.
Mit der grünen Münze habe ich begonnen. Sie symbolisiert die Lernsituation und die Erwartungen an die Schülerinnen und Schüler .
Da die Lernenden bisher eine Geschäftsidee entwickelt, diese auch am Wettbewerb Jugend gründet eingereicht haben und die Idee weiterhin ein zentraler Bestandteil des Wirtschaftslehreunterrichts ist, habe ich ein folgendes Szenario entwickelt:
Du
hast eine Geschäftsidee entwickelt und einen Businessplan
geschrieben. Du denkst darüber nach, ob du dein Unternehmen wirklich
gründen möchtest. Aus diesem Grund nimmst du an einem
Mentorenprogramm
teil
und erhältst folgende Aufgabe:
„Für
eine Gründung benötigt jeder wirtschaftliche Grundlagen. Dazu
gehören volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und
handelsrechtliche Grundlagen. Weiterhin ist es sehr wichtig, dass du
gut präsentieren,
Kreativität
mit Wissen verknüpfen
kannst und über eine gute
Medienkompetenz
verfügst. Das sind übrigens auch alles wichtige Voraussetzungen, um
ins Berufsleben einzusteigen, egal ob über den selbstständigen oder
angestellten Weg.Aus
diesem Grund wirst du in den nächsten Wochen Experte in
betriebswirtschaftlichen
Grundlagen des Unternehmens
und bereitest
den Inhalt so auf, dass du ihn anderen beibringen kannst.“
Damit erhoffte ich mir, eine realitätsnahe Möglichkeit zu schaffen, sich mit den anstehenden betriebswirtschaftlichen Inhalten zu identifizieren und es für sinnvoll zu erachten.
Präsentationen zu erstellen und durchzuführen, kennen die Lernenden. Das haben wir in der Vergangenheit oft geübt, Kurz- und auch ausführliche Präsentationen zu halten und im Nachhinein darüber zu reflektieren, was eine gute Präsentation ausmacht. Dieses Mal war es für sie neu, dass sie nicht nur einen Input vorbereiten und halten mussten, sondern eine gesamte Unterrichtsstunde von ca. 60 min. planen und durchführen sollten.
Um die Methode des Lernens durch Lehren einzuführen, habe ich mir ca. 45 min. Zeit genommen, um Relevanz zu schaffen und die Perspektive vom Lernenden zum Lehrender zu verdeutlichen. Die Unterrichtsstunde, die sie durchführen sollten, habe ich nach einem klassischen Aufbau (Einstieg – Input – Übungsteil – Überprüfung und Ergebnissicherung) vorgegeben. Auf den Punkt gebracht: Die grüne Münze steht für den Start – die Lernsituation und meine Erwartungen. Grün ist die Hoffnung :-).
Neben der grünen Münze werfe ich noch eine rote Münze in das quietschpinke kugelrunde Porzellan-Sparschein. Diese rote Münze steht für die Organisation und Rahmenbedingungen der Unterrichtseinheit.
Die rote Farbe als Metapher für Leitplanke oder Stoppschild. Also der Planung und Organisation. Dort wo ich später als Lehrerin sozusagen den „Rotstift“ ansetze.
Dabei versuche ich immer mehr die Schülerinnen und Schüler mit in die Planung einzubeziehen. Ich habe mit der Lerngruppe gemeinsam abgestimmt:
1. Die Festlegung der Lerngruppen
2. Die gewünschten Unterrichtsthemen unter Berücksichtigung der Pflichtinhalte
3. Die Erarbeitungsphase, ob sie teilweise in der Schule oder teilweise außerhalb der Schule stattfinden sollte
4. Den Zeitplan für die komplette Unterrichtseinheit und die Durchführung der erarbeiteten Unterrichtsinhalte.
5. Die Vorab-Bereitstellung in der Lernplattform Moodle der zur Durchführung des Unterrichts benötigten Materialien
Als Bedingung habe ich vorgegeben, dass alle Themen, die jetzt vergeben werden, auch für die Klausur relevant sind. Insgesamt hatte der Kurs 5 Wochen á 5 Unterrichtsstunden für die komplette Einheit inklusive der Klausur Zeit. Und wir hatten alle Unterrichtsstunden von allen Gruppen terminiert.
Und los ging es:
Nachdem die Schülerinnen und Schüler wussten, was sie erwartet und alle Fragen geklärt waren, ging es in die Umsetzung nach unserer 8-5-90-1-1-Regel:
8 Unterrichtsstunden für die Erarbeitung
5 Termine je 90 Minuten Zeit für die Durchführung der Lerneinheiten
mit je 1 Gruppe pro Termin
und 1 Stunde pro Woche für gemeinschaftliche Unterrichts-Reflexion, Herstellen von Zusammenhängen und um Fragen zu klären
Das Sparschwein ist schon etwas wertvoller geworden, aber das reicht noch nicht. Es kommt noch eine blaue Münze hinzu. Blau als Sinnbild für Wasser und Fluss.
Damit alles gut im Fluss ist, habe ich der Lerngruppe das sogenannte Flap, das man aus dem eduscrum kennt, vorgestellt und festgelegt, dass sie es als Organisationsinstrument ausprobieren sollten. Zu Beginn haben sie ihre einzelnen Stories oder Lernjobs definiert und anschließend die Akzeptanzkriterien festgelegt, wann ein Lernjob erledigt ist. Wenn die einzelnen Gruppen dieses fertig hatten, habe ich die Kriterien und die Lernjobs im Gespräch überprüft. Zum Beispiel haben sie als einen Lernjob festgelegt, sich in das Thema mit einer Recherche einzulesen und sich einen Überblick zu verschaffen. Die Kriterien waren zum Beispiel mit welchen Quellen sie recherchieren, wie viele Internetquellen sie dazu nutzen wollten und dass sie die Internetquellen hinsichtlich ihrer Qualität überprüfen.
In der Erarbeitungsphase haben sie zu Beginn der Stunde kurz anhand ihres Flaps dargestellt, was sie bereits gemacht haben, wo sie stehen und was sie noch vor sich haben. So sollte die blaue Flap-Münze den Lernprozess fließend gestalten.
Kommen wir nun zur orangen Münze. Orange ist eine Signalfarbe die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie steht dafür einen nicht normalen, sondern im besten Lern-Sinne „merkwürdigen“ Input zu erstellen. Rene Borbonus, einer der deutschen Top-Rhetorik-Trainer und großes Vorbild für mich, gab mir einen entscheidenden Tipp: Eine Rede anhand eines Gegenstandes zu erklären. Man nehme irgendeinen Gegenstand und schreibe seine Eigenschaften und Merkmale auf. Anschließend erzwingt man sozusagen die Analogien, indem man Verbindungen zum Thema sucht. Das führt bei den Zuhörern zu mehr Aufmerksamkeit und gibt ihnen die Möglichkeit, sich mehr zu merken – so wie bei unserem Sparschein gerade.
Und da sind wir auch schon wieder bei unserem gedanklichen Protagonisten. Das Sparschein wird voller und voller. Kannst du dir vorstellen, wie das quitschpinke Sparschwein immer dicker wird? Eine grüne Münze, eine rote, eine blaue und nun ist auch eine orange mit dabei. Und es ist noch nicht voll. Denn ich schmeiße noch eine weiße mit einer digitalen leuchtenden fünf drauf rein. Diese weiße leuchtende Münze steht für die Digitalisierung in meinem Unterricht. Die Lernenden arbeiten mit der Lernplattform Moodle. Sie kennen die Plattform, haben dort etliche digitale Arbeitsblätter erhalten, selber Lernprodukte hochgeladen, Unterrichtsprotokolle eingepflegt, Material allen zur Verfügung gestellt und sich mit formativen Tests selber überprüft. Bei dieser Unterrichtsreihe wollte ich noch einen Schritt weiter gehen. Sie sollten in der Übungsphase ein digitales Arbeitsblatt für die anderen und vier Testfragen mit unterschiedlichen Aufgabenformaten, wie Multiple Choice, Zuordnungen, Richtig oder Falsch erstellen. Als technische Hilfestellung habe ich ihnen per ScreenRecorder Videos aufgenommen, in dem ich ihnen gezeigt habe, wie sie ein digitales Arbeitsblatt sowie Testaufgaben anlegen, wie sie die verschiedenen Aufgabenformate auswählen können und was sie bei den unterschiedlichen Formaten beachten müssen, damit es technisch funktioniert.
Die weiße Münze mit der digitalen fünf blinkt also wie verrückt :-).
Als sechste und letzte Münze werfe ich in das Sparschwein eine Münze mit Glitzer. Sie steht für die Klausur, die am Ende dieser Unterrichtseinheit zur Überprüfung des Kenntnisstandes der betriebswirtschaftlichen Grundlagen steht. Mein Anspruch: Die Klausur sollte glitzern und funkeln. Sie sollte ungewöhnlich sein und die Lerneinheit abrunden. Deshalb habe ich mir eine digitale Klausur ausgedacht.
Die erste Klausur der Lernenden am Computer! Spicken erlaubt, ohne die Angst zu haben, erwischt zu werden. Knapp 30 % des gesamten Klausurinhalts waren ihre eigen erstellten Testfragen. 5 Gruppen á 4 Fragen gab es im Pool. Einige wenige habe ich aufgrund fehlender Tiefe aussortiert. Aus den restlichen Testfragen haben die Schülerinnen und Schüler per Zufall 10 gestellt bekommen. Somit hatte jeder einen anderen Prüfungsteil. Die restlichen 70% der Klausur bestand darin, dass sie zwei kleine YouTube Videos anzusehen und anhand des Vortrages bzw. Interviews konkrete Fragen (Wissens-Transfer) zu beantworten. Und damit ist das quietschpinke Sparschwein dick gefüllt und besonders wertvoll.
Mehr Münzen passen in das Sparschwein nicht rein. Deswegen schauen wir nochmal, was sonst noch an unserem quietschpinken kugelrunden Porzellan-Sparschwein auffällt. Ich sehe den Ringelschwanz, am Ende des Schweines. Der Ringelschwanz steht für das Ende und Feedback. Am Ende der Unterrichtseinheit sollte das Ziel erreicht werden, dass die Lernenden die fachlichen Inhalte auf etwas ungewöhnlichere Art und Weise erarbeitet und behandelt haben, so dass im Endeffekt mehr bei ihnen hängen bleibt. Feedback habe ich zunächst innerhalb der Gruppe zu verschiedenen Aussagen eingeholt. Dadurch wollte ich die Gruppe nochmal dazu anregen, gemeinsam die Einheit zu reflektieren. Anschließend konnten sie individuell bei Moodle einen kurzen Fragebogen ausfüllen. Die Rückmeldung war, dass es anspruchsvoll war, aber es hat Freude bereitet, es war anders und sie fanden es spannend, sich mit Moodle noch näher auseinander zu setzen und die Rolle des Lehrenden kennen zu lernen. Die Unterrichtsstunden wurden von Gruppe zu Gruppe besser, weil wir anschließend immer reflektiert haben, was gut lief und warum es gut lief. Und genau diese Informationen haben die Mehrheit der Gruppen auch umgesetzt. Das Interesse an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen ist von vielen sehr hoch und einige können sich auch vorstellen, weiter in Richtung Unternehmertun zu denken. Zwei Lernende nehmen sogar wirklich außerhalb der Schule an einem Mentorenprogramm teil.
Das quietschpinke Sparschwein wäre so perfekt, wenn es nicht aus Porzellan wäre. Dadurch können relativ schnell Kanten rausgehauen werden. Es muss nur mal unsanft einen Widerstand spüren oder sogar herunterfallen. Und so sieht es auch aus, es sieht noch wirklich schick aus, aber hat die eine oder andere Schramme erhalten. So auch meine Unterrichtseinheit, die ich dir nicht vorenthalten möchte.
Den Inhalt anhand eines Gegenstandes zu erklären, ist bei den meisten Gruppen noch nicht gut gelungen. Sie haben den Input in Form einer normalen Präsentation gehalten und anschließend die Verbindung zwischen dem Inhalt und dem Gegenstand erläutert. Das war ganz nett, die anderen fanden es witzig. Ich hatte auch größtenteils Gegenstände aus dem Kinderzimmer mitgenommen, aber meine eigentliche Intention, den Inhalt daran zu erläutern, um den Spannungsbogen der Präsentation zu erhöhen, ist damit fehlgeschlagen.
Das Flap wurde von drei von fünf Gruppen als lästig und unnötig angesehen, auch im Nachhinein. Diese Gruppen haben ihre eigen gesetzten Erfolgskriterien, wann ein Lernjob erfüllt war, nicht im Blick gehabt und ignoriert. An dieser Stelle hätten sie vor der Phase der eigen durchgeführten Unterrichtsstunden von meiner Seite noch mehr Unterstützung und eine Art Überprüfung gebraucht. Das muss ich beim nächsten Durchgang mit einplanen.
Die vermeintlich leistungsstarken Schülerinnen und Schüler, die im traditionellen Schulsystem mit dem Bulimie lernen gut zurecht kommen, haben große Mühe, den Mehrwert dieser Einheit zu erkennen. Sie empfinden es als unnötig anstrengend.
Für die Lernende , die ausführlich lernen und mehr Zeit dafür benötigen, haben diese Einheit zu voll gepackt und zu schnell empfunden. Sie hätten sich noch mehr Wiederholungsschleifen gewünscht und mich mehr in der traditionellen Lehrerrolle.
Die Ergebnisse der Klausur waren durchwachsen durchschnittlich. Die selbst erstellten Testfragen haben sie alle mit Bravour bestanden. Die letzte Aufgabe, in dem sie die Zusammenhänge der fünf betriebswirtschaftlichen Themen erläutern sollten, war zu schwierig für sie. Bis auf sehr wenige Lernende hat die Mehrheit die Tiefe der Themen nicht so verstanden, als dass sie einen klaren Zusammenhang erklären konnten.
Vergegenwärtigen wir uns nochmal das Ziel dieser Unterrichtseinheit. Es ging darum, die betriebswirtschaftlichen Grundlagen handlungsorientiert zu erlangen. Dies wurde mit Methoden und Instrumenten angereichert, die ihnen für ihren weiteren Lebensweg behilflich sein können.
Fazit: Vieles ist geglückt, vieles ist verbesserungswürdig. Aber es bewegt etwas in den Köpfen. Das ist deutlich spürbar. Damit haben wir alle ein bisschen mehr Schwein gehabt als im normalen, klassischen Unterricht.
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